Berühren Sie das Wasser
Als Mikroverunreinigungen werden im engeren Wortsinn natürliche oder synthetische Substanzen sowie chemische Elemente bezeichnet, die in der Umwelt in überdurchschnittlich hohen Konzentrationen vorkommen. Spricht man in der Praxis von Mikroverunreinigungen, handelt es sich in der Regel um Schwermetalle oder synthetische Substanzen, die aus der Petrochemie stammen, und die je für sich alleine genommen in sehr schwacher Konzentration im Wasser vorhanden sind – entweder in der Grössenordnung von Mikrogramm pro Liter (μg/l = ein millionstel Gramm pro Liter) oder von Nanogramm pro Liter (ng/l = ein milliardstel Gramm pro Liter).
Die im Trinkwasser enthaltenen Mineralsalze wie Kalzium oder Magnesium sind im Vergleich dazu in einem Bereich von Milligrammen pro Liter (mg/l) angesiedelt, was einer Konzentration entspricht, die zwischen Eintausend bis eine Million Mal höher ist, als diejenige der Mikroverunreinigungen. Es existieren allerdings Zehntausende von verschiedenen Mikroverunreinigungen, und auf einen grossen See wie z.B. den Genfersee bezogen bedeutet dies, dass sich die Menge jeder einzelnen Substanz auf Tonnen beläuft...
Wissenschaftler befürchten, dass Mikroverunreinigungen entweder durch kumulierte Wirkung ("Cocktail-Wirkung") oder indem sie sich in andere problematische Substanzen umwandeln langfristig schädliche Auswirkungen auf Lebewesen haben können – ganz besonders auf das Gleichgewicht der Wasserökosysteme. Die Befürchtungen betreffen in besonderem Masse Stoffe, die eine endokrine Wirkung entfalten können. Das heisst, dass sie die Aktivitäten von Hormonen imitieren oder störend in das Hormonsystem von Lebewesen eingreifen können, wie dies bereits an Fischpopulationen beobachtet wird, bei denen die Geschlechtsorgane durch diese Verunreinigungen verändert worden sind.
Sie stammen auch aus Haushalten
Mikroverunreinigungen stammen hauptsächlich aus menschlichen Tätigkeitsbereichen. Auch wenn zurzeit die Relevanz der einzelnen Schadstoffquellen nicht bekannt ist, so sind letztere dennoch erkannt: das Ausbringen von Pestiziden (Herbiziden, Insektiziden, Fungiziden etc.) in Landwirtschaft und Gärten; Abwässer aus Industrie und Spitälern; die Behandlung von Baumaterialien gegen Korrosion und Feuer (Brandschutzmittel); Holzschutzmittel gegen Insekten- und Pilzbefall; Luftschadstoffe, die durch Niederschlag auf den Boden gelangen und anschliessend in die Gewässer eingetragen werden etc. Aber auch die Haushalte tragen mit einem guten Anteil zur Gewässerverschmutzung durch Mikroverunreinigungen bei, und zwar durch Reinigungs- und Bastelprodukte, Produkte für die Kleider- und Geschirrwäsche, durch Kosmetik, Sonnencrèmes sowie Medikamente und hormonelle Verhütungsmittel (die auf natürlichem Weg ausgeschieden werden). Sogar Lebensmittelzusätze wie bestimmte künstliche Farbstoffe finden sich schliesslich in unseren Gewässern wieder.
Alle werden jedoch nicht in den Abwasserreinigungsanlagen herausgefiltert
Die zahlreichen synthetischen Substanzen fliessen mit dem Abwasser in die Abwasserreinigungsanlagen (ARA), die diese Stoffe jedoch nicht alle herausfiltern und auch nicht vollständig abbauen können. Denn in den verschiedenen Klärbecken der ARAs werden die Verschmutzungen durch Mikroorganismen zersetzt, welche Substanzen natürlicher Herkunft leicht abbauen können (Nahrungsmittelabfälle, Ausscheidungen etc.). Mehr Schwierigkeiten haben die Mikroorganismen hingegen mit solchen Stoffen, die von der chemischen Industrie erfunden worden sind: ein grosser Teil der synthetischen Substanzen durchläuft deshalb die ARAs entweder unverändert oder unvollständig abgebaut und wird anschliessend in die Flüsse und Seen zurückgeleitet.
Ein kontinuierlicher Fluss von Schadstoffen
In die Umwelt eingebrachte Mikroverunreinigungen zersetzen sich unterschiedlich schnell. Dauert ihre Halbwertszeit* im Süsswasser länger als 40 Tage, werden sie als "persistent", und bei einer Halbwertszeit von mehr als 60 Tagen als "sehr persistent" bezeichnet. Da die Einbringung der Verunreinigungen in die Oberflächengewässer und ins Grundwasser kontinuierlich ist und massenweise erfolgt, hat dies zur Folge, dass ihre Konzentration im Wasser meist unverändert hoch bleibt, auch wenn bestimmte Mikroverunreinigungen biologisch abbaubar sind.
Es werden ständig neue Schadstoffe geschaffen
Jedes Jahr entwickelt die chemische Industrie rund 200 bis 300 neue Substanzen, die zu den 100'000 bereits im Markt vorhandenen hinzukommen (in der Schweiz sind davon mehr als 30'000 in Gebrauch). Ihre Toxizität für Menschen ist derzeit aber nur für eine von zehn belegt, und die Giftigkeit für die Umwelt nur für eine von hundert. Hinzu kommt, dass die genaue Zusammensetzung vieler geläufiger Produkte von den Herstellern nicht bekannt gegeben wird, da es das Fabrikationsgeheimnis zu hüten gilt. Diese Substanzen können erst dann entdeckt werden, wenn sie die Gewässer verschmutzen, und auch dann nur, wenn sie mit den Analysemethoden der Labore ausfindig gemacht werden können.
Aktivkohle und Ozonierung
Abwasserreinigungsanlagen können mit zusätzlichen Einrichtungen ausgerüstet werden, welche es ermöglichen, Mikroverunreinigungen besser herauszufiltern und abzubauen. Durch Filtration mit Aktivkohle oder mit der Ozon-Oxidation (Ozonierung) gelingt es, Mikroverunreinigungen um rund 80% zu dezimieren, bevor das geklärte Wasser wieder in die Natur geleitet wird. Aber diese zusätzlichen Behandlungen sind teuer und erhöhen die Gebühren für die Abwasserreinigung.
* Mit Halbwertszeit wird die Zeitdauer bezeichnet, die benötigt wird, um die Hälfte der Menge einer Substanz abzubauen. Beträgt die Halbwertszeit einer Substanz 30 Tage, wird man nach 30 Tage 50%, nach 60 Tagen 25%, nach 90 Tagen 12,5% etc. der Menge vorfinden.